Blog: Von Viren und Social Media Hype oder „Nehmt den Onlinern die Werbung weg“.

Viele Unternehmen verlagern ihre Werb-Etats in Social Media Bereich, ein Allheilmittel? Schon jetzt zeigt sich, dass auch bei der Online Werbung gilt: 50% der Werbemitteletats sind rausgeworfenes Geld. Man weiß nur nicht welche Hälfte. Dabei ist es nicht so schwer. Werbung muss uns berühren, egal wo sie stattfindet.

Anbieter: rheingold salon
Veröffentlicht: Jun 2015
Autor: Ines Imdahl
Preis: kostenlos
Studientyp: Blog & Paper • Marktforschung • Mediaanalyse • Social Media Analyse
Branchen: Marketing & Medien • Online & IKT & Elektronik
Tags: Digital Agenda • Marken • Markenpositionierung • Online • Social Media • Werbung

Es gelten immer die gleichen Regeln. Marken und Produkte dürfen sich nicht immer nur sich selbst drehen. Echtes Um-werben bedeutet, dass unsere (Verwendungs-)Motive aufgegriffen, unsere Lebensthemen bearbeitet und unsere Werte mitbewegt werden. Es muss spürbar um uns gehen und nicht nur ums Verkaufen.

Im Netz allerdings werden die gleichen Nervfehler gemacht wie in der bisherigen Werbung. Solange wir mit immer gleichen langweiligen Nachrichten penetriert werden, immer und immer wieder die gleichen gesponserten Werbebanner aufleuchten, so lange verdient die Online-Werbung eigentlich gar keine Etats. „Nehmt den Onlinern die Werbung weg“, postulierte Thomas Koch in seinem Werbesprech. Er hat Recht. Denn was Hänschen nicht lernt, lernt Hans schon nimmermehr. Die Online-Werbung ist durchzogen von altbekannten Fehlern. Versucht sich gar in heimlichen Manipulationen durch das Rückverfolgen und Speichern von User-Daten oder immer schon eher verwerflichen Schneeballsystemen. Hier wird fürs (Werbe-)Posten Geld bezahlt, die Aquise neuer Mitposter wird ebenfalls „honoriert“. Ein Versuch durch eine spezielle Form des Seedings virale Kampagnen herzustellen. Überhaupt sind virale, sich selbständig verbreitende und freiwillig geteilte Kampagnen der Traum der Werber: Interessant allerdings, solche Werbung als „viral“ zu bezeichnen. Damit wird das Klischee, Werbung sei per se etwas, dass uns aufgezwungen werden müsse weiter verstärkt. Dabei wollen wir berührt werden durch Umwerbungen, immer und überall. Denn Berührungen schmeicheln der Seele. Nur leider handelt es sich bei dem, was als Werbung bezeichnet wird, nur allzu selten um echte Umwerbungen. Und dann mutet es fast wie eine Überraschung an, wenn echte Werbung quasi von allein und ohne Druck funktioniert. So leiten wir berührende Videos auch weiter, weil wir damit etwas über uns sagen (möchten) – wir machen Werbung für unsere eigenen Haltungen und Positionen. Wie beispielsweise den Film First Kiss „We asked 20 strangers to kiss for the first time“. Über 97 Millionen Menschen haben aus eigenem Antrieb geklickt.   Denn das Video zeigt liebevoll die peinlich-angenehmen Momente vor dem ersten Kuss, die fast jeder schon erlebt hat. Es spielt auch auf die intime Nähe danach an. Die werbende Modemarke bleibt – gekonnt – im Hintergrund. Aber beim 2. und 3. Mal anschauen beginnt man auf die Kleidung zu achten, will die Marke kennenlernen oder gar kaufen. Die Zurückhaltung der Marke schafft Nachhaltigkeit. Gerade durch die Auseinandersetzung mit ihr auf den zweiten Blick nach dem ersten Kuss.

Jenseits solcher echten Viren ist die Online-Werbung meist nicht verfassungsgemäß. Rechtlich schon. Aber seelisch eben nicht. Wenn wir im Netz sind, dann fühlen wir uns eben anders als wenn wir im Auto sitzend Radio hören, in einer Zeitschrift blättern oder Fernsehen schauen. Wir fühlen uns auch anders als beim Liebes-Um-Werben. Die spezielle Online-Verfassung hat mit dem Spüren von unendlichen (Shopping-) Möglichkeiten, dem Wühlen in Kuriositäten und Fundstücken, dem Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, und dennoch ein besonderes Individuum, das entscheidet, was es tut und lässt. Wir hängen in dieser Verfassung an einem seidenen On-Line-Faden mit dem wir uns durch das Netz hangeln und nach Erregendem und Berührendem suchen. Werbung darf hier mutiger sein, aufregender und frecher – aber nicht nervender! Und sie darf getrost alles anders machen als bisherige Werbung, denn die berührt nur in den seltensten Fällen. Gute Werbung werden die Unternehmen brauchen, jetzt und in Zukunft. Auch im Netz. Denn die Online-Verfassung gehört inzwischen zu unserem Alltag wie das Fernsehen.