Der digitale Wandel der Arbeitswelt und Herausforderungen für Menschen und Bildungssysteme

Die Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung zeigt, wie die zukünftige digitale Arbeitswelt und das Berufsleben aussehen könnte und wo die Herausforderungen für das Bildungssystem liegen. Kernaussage: Selbst-Marketing wird immer wichtiger, Branchen-Grenzen verschwimmen.

Anbieter: Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation
Veröffentlicht: Sep 2016
Preis: kostenlos
Studientyp: Marktforschung
Branchen: Arbeitswelt • Bildung & Wissenschaft • Online & IKT & Elektronik • Wirtschaft, Politik & Gesellschaft
Tags: Arbeitsmarkt • Arbeitswelten • Bildungspolitik • Bildungssystem • Digital Agenda • Digitale Transformation • Digitalisierung

Politik und Regierung beschäftigen sich derzeit intensiv mit der Frage, wie die Digitalisierung die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren verändern wird. Um dies zu unterstützen, hat die Vodafone Stiftung, die sich für die Verbesserung von Bildungs- und sozialen Aufstiegschancen einsetzt, die hier vorliegende Foresight-Studie gefördert. Ziel war es, zentrale Trends in der Berufswelt von morgen frühzeitig zu erkennen und dadurch Ansatzpunkte zu identifizieren, über die Bildungspolitik und -praxis bereits heute die Menschen für die Jobs der Zukunft vorbereiten können.

Sechs Trendbereiche als Treiber für die Zukunft der Arbeitswelt

Basierend auf den bisher erarbeiteten 30 relevanten technischen und gesellschaftlichen Trends wurden zunächst im Rahmen eines ersten Szenario-Workshops 15 Einflussfaktoren des Wandels der Arbeitswelt priorisiert und genauer beschrieben, die je nach unterschiedlicher Ausprägung der dahinterliegenden Trends starken Einfluss auf Chancengleichheit und Gefahren der Benachteiligung am Arbeitsmarkt der Zukunft haben können. Die Anzahl der priorisierten Einflussfaktoren ergibt sich aus der Anforderung, dass die Anzahl der Faktoren für eine Szenarien-Berechnung auf 10-15 beschränkt bleiben sollte. Die hier entwickelten Einflussfaktoren stehen jeweils für einen Trend, der für sich gesehen aufgrund der Quellenlage und Indikatoren als robust angesehen wird. So wurde zum Beispiel der Trend „Immer mehr prozess- und personenbezogene Daten werden mit Sensoren automatisiert erstellt, in Echtzeit verknüpft und für vorhersagen ausgewertet.“ als besonders relevant erachtet und unter dem Titel „Algorithmen und Big Data“ als Einflussfaktor aufgenommen.

Die wichtigsten Einflussfaktoren

  1. Infrastruktur: Städte sind sehr gut mit schnellen Internetverbindungen und WLAN ausgestattet, in ländlichen Regionen besteht zum Teil Unterversorgung. 
  2. Algorithmen und Big Data: Immer mehr prozess- und personenbezogene Daten werden mit Sensoren automatisiert erstellt, in Echtzeit verknüpft und für Vorhersagen ausgewertet. 
  3. Quantifizierung von Leben und Arbeiten und Privatheit: Mobile Endgeräte, das Internet der Dinge und der Einsatz von Sensoren und Kameras sind weit verbreitet. Die digitale Datensammlung, -speicherung und -auswertung im beruflichen und privaten Kontext hat eine Quantifizierung des Alltags zur Folge. 
  4. Digitale Wirtschaft: Die digitale Wertschöpfung durchdringt immer mehr Branchen in Deutschland. 
  5. Wandel der Unternehmensstrukturen und Beschäftigungsformen: Die Unternehmensstruktur ist heterogen mit wenigen Groß- und mittleren Unternehmen. Viele kleine Unternehmen, Startups, Kooperativen und Selbständige kooperieren vorwiegend in urbanen Regionen, aber auch stark überregional/international in Netzwerken mit unterschiedlichen Akteuren. 
  6. Mensch-Maschine-Verhältnis und Anforderungen: Das M-M-V erreicht durch Digitalisierung, CPS, das Internet der Dinge und lernende Maschinen eine neue Dimension der Automatisierung und hat Effekte auf die Qualifikationsanforderungen und möglichen Tätigkeiten. 
  7. Mehr Kontrollmöglichkeiten: Durch Automatisierung steigen die Kontrollmöglichkeiten nicht nur von Prozessen und Maschinen, sondern auch von Arbeitskräften. 
  8. Soziale Innovationen: Soziale Innovationen, die in Kollaboration von Unternehmen mit Bürgern entstehen, tragen maßgeblich zu Prosperität und Wohlstand bei. 
  9. Crowdfinancing: Über digitale Plattformen werden in kurzer Zeit mit sehr vielen Beiträgen größere Summen für Projekte und Geschäftsideen gesammelt (-funding, -investing,…). 
  10. Wandel der Erwerbsbevölkerung: Trotz eines Anstiegs der Migration kommt es langfristig zu einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung. Zugleich wird sie immer älter und Menschen werden länger im Erwerbsleben stehen. 
  11. Individualisierung und Pluralisierung: Durch Zuwanderung wird die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen weiter verstärkt. Die Vielfalt der Biografien, Fertigkeiten und Fähigkeiten wirkt positiv auf Kollaboration, Integration und Innovation. Es bestehen große Wahlmöglichkeiten in Bezug auf Beruf, familiäre Lebensformen und soziale Kontakte. 
  12. Mehr Einfluss von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft: Frauen sind immer besser qualifiziert und auch Mütter sind zunehmend berufstätig. Die zunehmende Vielfalt der Familienstrukturen hat einen höheren Beschäftigungsanteil von Frauen und mehr Bedarf an flexiblen Arbeitszeiten/-orten bei Männern und Frauen zur Folge. 
  13. Digitale Welten: Digitales Leben und Arbeiten ist in weiten Teilen der Bevölkerung Realität. 
  14. Digitale Arbeitskultur: Gerade bei jüngeren Menschen findet ein Wertewandel hin zu Selbstverwirklichung, Kreativität und mehr Freiräumen bei der Arbeit statt (Millenials). 
  15. Kollaborativ-Wirtschaft: Durch einen Wertewandel hin zu nachhaltigem Leben und Arbeiten in urbanen Milieus sowie Trends wie Co-Working, Sharing Economy und Maker-Kultur gewinnt die Kollaborativ-Wirtschaft an Bedeutung.

Die Bedeutung von Selbstorganisation und Selbstvermarktung nimmt rasant zu

In einer digitalen und vernetzten Wirtschaft werden die Wertschöpfungsprozesse in kleinere Arbeitsschritte unterteilt und können dann flexibel ausgelagert werden. Das Spektrum des Outsourcing reicht von wissenschaftlichen Analysen an Netzwerke spezialisierter Forscher, über Grafik-Entwürfe an einen freiberuflichen Designer bis hin zu einfachen Routinejobs an eine Heer aus „Click-Workern“. Aber auch soziale Dienstleistungen, wie Wellness, Pflege und Kinderbetreuung werden projektbezogen ausgelagert werden. Es werden also immer mehr Menschen – aus allen Ausbildungsstufen und Berufsfeldern – an immer häufiger wechselnden Projektaufträgen arbeiten, um die sie sich immer wieder neu bewerben müssen. Dies hat weitreichende Folgen auf den Arbeitsmarkt und auf das Bildungssystem.

Branchen-Grenzen verschwimmen, fachübergreifende Kompetenzen werden entscheidend

In Zukunft werden immer mehr Aufgaben softwarebasiert erledigt und in automatisierte Prozesse übersetzt – über klassische Branchengrenzen hinweg, zum Beispiel von der Produktion über die Logistik bis zum Handel. Somit steigt die Bedeutung von branchenübergreifenden Kompetenzen, verglichen mit klassischen branchenspezifischen Kenntnissen spürbar an. Hierzu zählen sowohl digitale Qualifikationen an den Mensch-Maschine-Schnittstellen, als auch bestimmte soziale Fähigkeiten, die nicht durch Computer ersetzt werden können. Insgesamt wird die – in Deutschland verhältnismäßig feste – Berufsstruktur aufgeweicht. Für die Arbeitnehmer wird es dadurch leichter, die Branche zu wechseln, was ihre beruflichen Möglichkeiten erweitert, aber auch den Konkurrenzdruck erhöht, weil mehr Menschen neu in ihre Branche strömen können. Für die Arbeitgeber wird es dadurch leichter, die dringend benötigend Fachkräfte zu rekrutieren, da sie in einem größeren Pool suchen können, aber zugleich wird es schwerer, die Personal-Fluktuation zu begrenzen. All dies birgt große Herausforderungen – in der dualen Berufsausbildung, der Berufsberatung und der Weiterbildung.